Transkription zu Ms 442
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Durchlauchtigster Erbprinz,
Gnädigster Herr
Ich bin noch immer in Holland, und gefalle mich itzo hier um ein großes beßer als die erstere Zeit; Unsere Bekanntschaften haben sich so erweitert, daß wenig große Häuser sind, die Uns nicht Höflichkeiten erzeigen und Uns den hiesigen Aufenthalt angenehm zu machen suchen; Wir wißen gemeiniglich auf 8. Tage voraus, womit Wir Uns täglich die Zeit vertreiben werden u. müßen immer die Hälfte von den Einladungen ausschlagen, die Wir zu einer Menge von Parties de Plaisir erhalten – Ich begreife nicht, wie die Holländer zu der übeln Reputation gekommen sind, daß sie kalt gegen Fremde und mürrisch in ihren Vergnügungen wären – Wenigstens sollten die Deutschen ihnen diesen Vorwurf nicht machen.
In meinem ersten Brief an Ew. Durchl. bin ich, deucht mich, bey der Reise nach Nordholland stehen geblieben, die Wir damahls vorhatten – Wir haben 4 Tage darauf gewendet [?] und viel Neues [?] für Uns, gesehen. Wir hatten unterwegs einen Capitain von einem Kriegsschiff, der 6. Kauffarthey Schiffe nach Lißabon zu bedecken hatte und einen anderen von einem Kaufmannsschiffe kenen gelernt, die Uns beyde auf ihr Schiff bathen – Wir nahmen die Einladung an und statteten auf einem Loftsscheid [?], das uns nach Texel bringen mußte, die Visite ab – Wir wurden in einer Art von bedeckten Lehnstühlen eins nach dem andren in die Höhe des Kriegsschiffs gezogen, traten unter klingendem Spiel der Garnison ein, und wurden in einem vortrefflich garnirten Zimmer auf das beste bewirthet – Auf den Kauffartheyschiff trafen Wir eine Menge Deutscher an, die nach Surinam giengen und theils schon da etabliert waren, theils erst ihr Glück in dieser Colonie suchen wollten und meistens gescheide u. artige Leute waren. Endlich stiegen Wir gegen Abend, im Texel, ans Land, nahmen ein Souper von See Möwen Eyern, Texels Käse und vortreflicher Butter ein, denn weiter darf man nichts [???] auf dieser Insul suchen, da aber beyde ganz neue Gerichte für uns waren, hätten wir sie um die besten nicht vertauscht; die Seemöwen ha_en [haben?] hier in der Nachbarschaft ein eigenes Land und besondere Privilegien. Die Eyer haben die Größe von den Gänse – das Ansehen und den geschmack aber von den Kiebitzeyern, nur das die Dotter blutroth aussieht – Von dem Texels Käse, der nicht sonderlich meine Approbation hat, habe ich zwey Stück gekauft, die meinem Oncle [?] und der Hofmarschallin von Boehlau bestimmt sind; bey Unsrer Retour vom Texel fuhren wir tief in die See nach Engelland zu – da lernte ich zum erstenmale die Gemählde des Vernet verstehen – Ich war halb voller Freuden, halb voller Angst beym Anblick dieses ungetümmen Elements und so gieng es der ganzen Gesellschaft, von der indeß nimand die Seekrankheit bekam als der Lyk. [oder c?] von Ziegesar. Je tiefer wir ins Meer fuhren, iemehr Seethiere bekamen Wir zu sehen, wovon besonders
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die Seehunde und ein gewißer ungeheurer Fisch, den die Holländer Hay nennen, Uns Unwißenden Landbewohnern sehr in die Augen fielen; - Es war dieses nicht das einzige, das Unsere Bewunderung verdiente – Bey unsrer Rückreiße zu Lande hatten Wir aus Unsern Wagen von Zeit zu Zeit einen Anblick, der sehr frappant ist – Auf der einen Seite sahen Wir das Meer – auf der andren, das flache Land vor Uns liegen, das an manchen Orten20 bis 30 Ellen tiefer liegt als das Waßer u. durch nichts separirt ist, als durch den Damm, auf welchem Wir fuhren – Wir übernachteten in Alkmar, der Hauptstadt von Nord-Holland und kamen den Tag darauf wieder in den großen lärmigten Amsterdam an; Wir fanden Briefe aus Wien, die meinem [?] Bruder nöthigten nach Haag zu gehen, und sich daselbst von dem Baron von Roischach zu seinen neuen Diensten verpflichten zu laßen. Diese kurze reise machten Wir in einem so genannten Nacht-Schryd, um auch diese Art zu versuchen und befanden Uns recht wohl dabey – Wir fanden ein gutes Bett auf dem Schryd und fanden Uns des Morgens früh unvermerkt [?] vor Haag; Sobald mein Bruder seinen goldnen Schlüßel erhalten und ich – einen Tourmalin gekauft hatte, giengen Wir auf eine schöne Campagne, wo Unsre übrige Gesellschaft schon war, und brachten daselbst einige ländliche Tage zu. Nachher besahen Wir ein Wett-Rennen von 6. holländischen Hart-Trabern. Ich weis nicht, ob Ew. Durchl. diese Art Pferde bekannt ist, - ich kann mich nicht erinnern iemals davon gehört noch desgleichen gesehen zu haben als in Holland, wo sie sehr in Werth sind; Es geschah dieser sonderbahre Course auf einer sehr langen Maille-Bahn und mußten allemahl zwey Pferde zugleich nach einem gewißen Ziel laufen – das, was mich am meisten darbey wunderte, war, daß die ganze maille-Bahn so voller Menschen war, als ein Parterre in einem Theater – durch welchen der Lauf der Pferde in vollem Trap geschah. Zwey Persohnen sind zwar niedergetreten worden, es ist aber immer zu verwundern, warum nicht so viel 100. verunglückt sind – Das rennen der Pferde ist nichts als ein erstaunend großer und geschwinder Trap – sobald sie in den Gallop fallen – haben sie verlohren; Als die Pferde aufgeführt wurden, intereßirten Wir Uns alle für ein schönes iunges Pferd, das von der nähmlichen Farbe des Schimmels war, den Ihro Durchl. der Hh. [?] Herzog immer reiten; Wir thaten die eifrigsten Wünsche, daß es gewinnen möchte und um Uns herum wettete man [?] 50 und 100 Ducaten darauf – Bey dem ersten Lauf gewann es auch – Da es aber zuletzt mit den besten Pferden des zweyten und dritten Laufs den letzten Versuch machen mußte, wurde es von einem Braunen übertroffen, der einige Schritte näher an dem Ziel war, ich hätte weinen m ögen, daß mein Favorit den Preis nicht erhielt, der in einer schönen Pritsche bestand, die 50. fl. an
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Werth war, und die der Besitzer des Pferdes zum ewigen Andenken aufhebt. Diese Pferde bekommen ein besonder Futter, und sind fast nicht [Abk.; ?] zu bezahlen – Hingegen könnte man sich [Abk.; ?] auch kein geschwinder Fuhrwerk denken, als eine Holländische Chaise mit so einem Hart-Traber bespannt – Als diese Fête vorbey war, fuhren Wir zu Schiffe nach Sartam [?] , eines der reichsten Dörfer in Holland, und wurden daselbst von einem Bauer tractirt, der 2 Millionen fl. in Vermögen haben soll – den tag nachher besuchten wir zu Lande einen Rittersitz, der Abkau [?] heißt, wovon der Besitzer noch dato das recht hat, das Voltairen in seinem droit du Seigneur zum Süjet dient – Das Guth steht nach dem Tod des Besitzers, der närrisch war und keine Erben hinterließ, zum Verkauf – Es hat mir wohlgefallen, ich habe aber, Gnädigster Herr, kein Geld, ein Guth zu bezahlen, das sehr viele Liebhaber finden wird. Zur Zeit der Meße zu Harlem haben Wir einige Tage davon profitirt – und haben bey der Gelegenheit von der Flammeradischen Truppe, die in Amsterdam abbrannte, zwey Stücke aufführen sehen, l’amoureux de quince ans und Silvain – Von dem ersten Stück, das mir nicht bekannt war, habe ich nicht viel verstehen können – ich habe nachher das französiche Original gelesen, das auch nicht [Abk.; ?] viel sagen will. Ein gewißer kaufmann Goll von Frankenstein hat Uns das Vergnügen gemacht, Uns schon verschieden male zu sich zu bitten und mit Uns sein ganz außerordentlich schönes Cabinet von Deßins durchzugehen und Uns allemal mit den vornehmsten Fremden, die ankommen, die ankommen zum Soupée zu behalten. – Er setzt dazu alle Wochen zwey Tage aus und werden Wir davon profitiren, so lange Wir hier sind. Gestern sind Wir von dem schönen LandGuth des Marquis de Saint-Simon zurückgekommen, wo Wir Uns 4. Tage königlich divertirt [?] haben – Es ist dieses ein gebohrner Franzos von einem großen Hause, ein Mann der mit ungemeinen Kenntnißen den brillantesten Verstand und die beste Lebensart verbindet – er hat verschiedne schöne Schriften geschrieben, die er auf seine Kosten drucken laßen und nur an seine Freunde verschenkt – Ich hoffe sie auch zu erhalten – er war der Amant von der verstorbenen Fürstin von Zerbst und lebte ohnweit Paris mit ihr auf einen schönen LanGuthe La bagatelle – Man behauptet gar, daß er mit ihr verheurathet gewesen und also der Stiefvater der Rußischen Kayserin sey – Die Fürstin vermachte ihm ihren ganzen Schmuck – Die Kayserin aber lies das Testament nicht gelten und lies durch ihren Ambaßadour den Schmuck abfordern; Der Marquis weigerte sich [Abk.; ?] so lange, bis ihn von dem König befohlen ward, alles herauszugeben; - Er that es, suchte ab. den Rußischen Gesandten auf, und gab ihm öffentlich ein Paar Ohrfeigen – diese Rache kam ihm theuer zu stehen – Er sollte arretirt werden, da er ab. zuvor entkommen wußte, ward er auf 20. Jahre aus Frankreich exilirt – Er gieng nach Holland, wo er 12 . Jahre schon von einer Revenüe von 1000 Ducaten ganz eingezogen gelebt u. sich [Abk.; ?] alle Menschen zu Freunden gemacht hat – und vor 8 Monathen hat er endlich sogar das Glück gehabt, eine der reichsten Wittben in
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Holland, eine gebohrne Comteße d’ E …. [wg. Falte nicht genau zu entziffern; vermutlich falsch geschrieben: laut anderen Quellen handelt es sich um eine Comtesse d’ Efferen] zu heurathen. Itzt lebt er auf ihren prächtigen Guth Allmersschwendt – auf den angenehmsten Fuß, den man sich [Abk.; ?] denken kann; Der Graf von Gronsfeld [?], mit dem Wir sehr genau bekannt sind, hatte die Attention für Uns, Uns mit einer Admiralitäts Yacht von da abhohlen zu laßen, und ein gewißer sehr artiger Engelländer hatte darauf für eine schöne Collation [?] und Music gesorgt und so kamen Wir wieder sehr vergnügt nach Amsterdam – Heute sind Wir von dem gewesenen englischen Ambaßadour Hn. [Abk.; ?] Borel [?] auf seine Campagne gebethen worden und hanen Uns treflich divertirt – Soweit, Gnädigster Herr, geht meine itzige Lebensbeschreibung. Unsre Reiße nach Frankreich haben wir noch einige Wochen verschoben – Wir denken daselbst so gut zu seyn als in Holland, weil Uns von den vornehmsten Häusern allhier, die besten Empfehlungen versprochen sind. Vor einigen Tagen habe ich den ersten Brief von meinem italiänischen Herrn Bruder und zwar aus Spaa erhalten, wo der Prinz [wg. Falte unleserlich; ?] kürzlich angekommen ist und das Waßer braucht – Ob Wir gleich nur 4 Tagesreißen [wg. Falte unleserlich; ?] von einander entfernt sind, zweifle ich doch, daß Wir einander sehen werden – er hat seine Distractionen [?] – Wir haben die Unsrigen -.
Letzthin bin ich in einer Auction von ausländischen Papillons gewesen – Ach, Gnädigster Herr wenn ich Geld übrig gehabt und gewußt hätte, wie ich diese zerbrechliche Wesen an Sie hätte bringen können, wie hätte ich Ihre Collection bereichern wollen – Unter allen die ich gesehen habe, hat mir einer am meisten gefallen, der Blattvogel genannt wird und so natürlich wie ein Kirschblatt aussieht, das es kaum zu glauben ist – Wenn ich nicht irre, komt er aus Jamaica und ist nich nirgends beschrieben – Ich habe auch das Schwedische Insecten Werk bey einem Kaufmann gesehen, dem es die Königin zugeschickt – es sind blos die Gemählde ohne die Besxchreibung – Ein viel schöners aber ist in Engelland herausgekommen, das hier in Commißion zu haben ist, aber 60 oder 70 fl. kostet. Ihren gnädigsten Aeltern bitte ich m ich zu Füßen zu legen und Ihren Durchl. Geschwistern meinen Respect zu versichern – Ich erschrecke über meinen langen Brief – Werden mir Ew. Durchl. mein Geschwätz vergeben? Ich hoffe es und habe übrigens die Ehre mit der lebhaftesten Hochachtung zu verharren
Ew. Herzogl. Durchl.
Amsterdam
den 12ten Julius
1772.
unterthänigst gehorsamster
MAvThümmel