Transkription von Ms 280 / 21:5
[Seite 1 Vorderseite]
Der Sultan hat ein Weib, das ihm so theuer ist,
Daß er darob die Sorg' um Leut und Land vergißt.
Sie fesselt sein Genick mir unsichtbarem Strick,
Er hängt an ihrer Lipp' und hängt an ihrem Blick.
Und wenn er sich dem Band an einem Tag entwand,
Am andern Tag umwand ihn stärker noch das Band.
Entschlossen aber will er sich der Schmach entreißen,
Ein Völkerherrscher soll kein Frauensklave heißen.
Die schöne Sklavin gibt er einem Sklaven hin:
Ertränke sie im Strom, daß ich mein eigen bin!
Allein am andern Tag erwacht der Liebe Pein,
Und der Ertränker soll ertränkt zur Strafe sein.
Der aber hat zum Glück gespart das theure Pfand
Gibts froh dem Herrn zurück, und neu trägt der sein Band.
Und als er wieder zur Besinnung auf sich rafft,
Wer schafft ihm jetzo Rath, wenn er nicht selbst ihn schafft?
Die Sklaven werden sich, die Sklavin zu ertränken,
Wol hüten, wenn sie an des Sultans Launen denken.
Da reißt er im Palast ein Fenster auf, und wirft
Hinab die Schöne, die der Strom begierig schlürft.
[Seite 1 Rückseite]
Der dies berichtet, sagt: Als Großer werd gepriesen
Im ganzen Land der Fürst, der sich so stark bewiesen. I
ch aber sage dir: Schlimm fiel des Volkes Loß,
Wo Fürsten sind durch so barbar'sche Tugend groß.