Transkription von Ms 280 / 21:3

[Seite 1 Vorderseite]

Des Fürsten Günstling hat ein schönes Weib gesehn,
Und stehlen will er ihr, was er nicht konnt erflehn.

Er läßt des Weibes Mann in einen Kerker werfen,
Als Hochverräter soll man ihm das Mordbeil schärfen.

Da wirft des Mannes Weib dem Richter sich zu Füßen,
Und seine Schuld muß sie mit ihrer Unschuld büßen.

Doch als sie schaudernd sich aus seinen Armen wand,
Sprach er: Ich löse nun dir das verfallne Pfand.

Geh, hole deinen Mann! Schon ist gelöst sein Band. -
Sie eilt zum Kerker, wo sie ihn enthauptet fand.

O weh mir, ruft sie aus, indem ihr Haar sie rauft:
Ja, durch ein Böses wird ein Gutes mir erkauft!

Verloren bleibst du mir, nun ist dazu verloren
Der Treue Reinheit auch, die dir mein Herz geschworen!

Sie ruft verzweiflungsvoll des Königs Rache an:
Das hat ein Mensch im Trotz auf deine Gunst gethan!

Der spricht zum Günstling: Nimm zum Weib hier dieses Weib,
Und was du hast von mir an Gütern, ihr verschreib!

Und als mit zitternder Geberd' er unterschrieb,
Trennt ihm vom Rumpf das Haupt auf Königswink ein Hieb.

 

[Seite 1 Rückseite]

Hinrollt das blut'ge Haupt zu der Gekränkten Füßen;
Der Kuß im Staub vor ihr soll seinen Frevel büßen.

Doch kann ihr bittres Leid der Anblick wohl versüßen?
Weh mir, der König rufts, zu spät ist nun zu rächen,

Was er sich konnt allein, durch meine Schuld erfrechen.
Die Ehre vor der Welt, das Gut konnt' ich dir geben,

Doch nicht des Herzens Ruh, noch deines Gatten Leben.

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