Transkription zu Ms 280 / 21:2
[Seite 1 Vorderseite]
Der milde König sitzt in seinem Schatzgemache,
Und sein Schatzmeister zeigt ihm Schätze mannigfache.
Es freut ihn nicht, dass er soviel hat aufzuheben
Es freut ihn aber, dass er hat soviel zu geben.
Zum Schatzbewahrer spricht er dann: Nun gehe du!
Denn müde bin ich und will halten Mittagsruh.
Da geht er und vergisst zu schließen eine Truhe,
Und tief im Winkel hält der König seine Ruhe.
Da tritt mit leisem Tritt der Kämmerling herein,
Und staunend sieht er mit den Schätzen sich allein.
Er thut tief einen Griff ins volle Meer von Gold;
Der milde König denkt: Er nimmt sich seinen Sold.
Schnell geht er schwerbepackt; doch der Versuchung Macht
Führt ihn zurück, er fährt noch einmal in den Schacht.
Der milde König denkt: Er nimmt aufs Jahr voraus;
Wohl sichrer als bei mir ist es in seinem Haus.
Er lässt ihn ziehn, und sieht zum drittenmal ihn nahn,
Zu thun, was ungestraft er zweimal schon gethan.
Der milde König denkt: Gelegenheit macht Diebe;
Mit meinem Gut vielleicht wächst seine Dienstesliebe.
[Seite 1 Rückseite]
Dann regt er sich und sagt: Nun aber komm nicht wieder!
Er hört, und sieht, und wirft erschreckt die Schätze nieder.
Der König aber spricht: Behalte, was du hast,
Doch eile, dass nicht mein Schatzmeister merkt den Gast!
Und schließ die Truhe, die er offen ließ!
Zur Last Fällt seinem Unbedacht, was du genommen hast.
Genommen hast du selbst den Sold dir auf drei Jahr;
Nun so bitte Gott, dass er das Leben dir bewahr,
Und mir solange, dass du abverdienen kannst
Mit deiner Treue, was du durch dein Glück gewannst.