Anmerkungen zu Friedrich Rückert
Coburg aus dem "Dintenfas":
Fluchtpunkt Dichterleben: Friedrich Rückert und Neuses
Geboren am 16. Mai 1788 in Schweinfurt. Im nahe gelegenen Oberlauringen verlebte Rückert eine unbeschwerte und prägende Kindheit. Neben ausgelassenem Umherschweifen in der "Natur" wurden hier entscheidende Grundlagen für sein weiteres Leben gelegt: Pfarrer Michael Neuland († 1814) vom katholischen Nachbardorf Großbardorf vermochte es offensichtlich, die vorhandene Liebe zur Poesie in feste Bahnen zu lenken und gleichzeitig die Neugierde für die fremde Welt des Orients zu erwecken.
1802 bis 1805 besuchte er das Gymnasium seiner Heimatstadt Schweinfurt. Im Herbst 1805 - versehen mit besten Noten - begann sein Studium in Würzburg. Im Dezember 1813 hatte Rückert die "Geharnischten Sonette" verfasst, mit denen ihm (1814 in Heidelberg erschienen) der literarische Durchbruch gelang. Die "Fünf Mährlein zum Einschläfern für mein Schwesterlein" aus dem gleichen Jahr wurden in der Ahl'schen Buchhandlung in Coburg gedruckt.
Auf der Rückreise von Italien hatte Rückert zum Jahreswechsel 1818/19 in Wien Zwischenstation eingelegt, um sich dort vom berühmten Diplomaten und Übersetzer Joseph von Hammer-[Purgstall] (1774-1856) in die Anfangsgründe der orientalischen Sprachen einführen zu lassen. Zur Fortführung und Vertiefung des Gelernten war es für Rückert jedoch unerlässlich sich weitere fremdsprachliche Lektüre zu verschaffen. Die reichhaltigen orientalistischen Bestände der Coburger Hofbibliothek veranlassten ihn zu einem Studienaufenthalt. Hier lernte Rückert Luise Wiethaus kennen, damals gerade 23 Jahre alt, als er in das Haus ihrer Eltern einzog. Der fast ein Jahrzehnt ältere Dichter scheint sehr bald eine herzliche Zuneigung zu dem jungen Mädchen empfunden zu haben, das seine Empfindungen erwiderte. 1821 heirateten die Beiden.
Finanzielle Sorgen und privates Glück:
Zum einen hatte der Dichter in Luise Wiethaus-Fischer endlich den Fixpunkt seines Lebens gefunden; zum andern vergrößerte sich die Familie fast jährlich, und Rückert war noch immer ohne feste Lebensstellung. Rückert und seine Familie waren angewiesen auf die Mildtätigkeit des Vaters, die Zinseinkünfte der Gattin und dem niemals gesicherten Verdienst aus der Mitarbeit an Almanachen und literarischen Taschenbüchern. Rückert suchte einen Brotberuf: eine Professur an einer Universität. Dies war jedoch in Coburg nicht möglich.
Erlangen, Berlin und das Gut in Neuses:
Friedrich Rückert wird 1826 ordentlicher Professor der orientalischen Sprachen in Erlangen. Doch Coburg scheint für Rückert die eigentliche Heimat geblieben zu sein. Als Fluchtpunkt vom zeitlebens ungeliebten Lehrbetrieb geriet nun das Fischersche Anwesen "Nattermannshof" in dem nahe bei Coburg gelegenen Neuses immer mehr in das Blickfeld Rückerts. Am 18. Oktober 1838, dem für ihn sehr bedeutungsvollen 25sten Gedenktag an die Völkerschlacht bei Leipzig, ging der Neuseser Nattermannshof in den Besitz der Familie Rückert über.
Auf persönlichen Wunsch des "Musenkönigs" Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) wurde Rückert 1841 nach Berlin an eine der modernsten Universitäten Deutschlands berufen. Seine Hoffnung, in Berlin mit seinen vielen Bühnen auch eine Karriere als Theaterautor zu machen, scheiterte völlig: Ludwig Tieck (1773-1853), der "Literaturpapst" des Preußenkönigs, verweigerte dem ihm von Rückert zugesandten Drama "König Arsak von Armenien" jede Beachtung und jeden Kommentar gegenüber dem Dichter. Auch an der Universität stießen die von Rückert angebotenen Veranstaltungen nicht auf die erwartete Resonanz, so dass das Privatissimum zu seiner Regelver-anstaltung wurde. Rückerts Vertrag sah vor, dass er nur während der Wintersemester zu lesen hatte. So konnte er sich während der Sommermonate in Neuses aufhalten, wo er sich in das Schneckenhaus der ihm vertrauten und überschaubaren Welt mit ihrer noch in Erlangen begonnenen "haus-backenen Poesie", den "Haus- und Jahrsliedern", die er ab 1846 "Altersverse" und später "Liedertagebuch" nannte, zurückziehen konnte. Am 17. März 1848 - dem Abend vor Ausbruch der revolutionären Ereignisse - verließ Rückert Berlin für immer und kehrte nach Neuses zurück.
Literarische Arbeiten:
Neben den "Geharnischten Sonetten" (1814) mit dem Appell zum Widerstand gegen Napoleon und neben den unzähligen (Liebes-)Gedichten wurde Rückert bekannt durch seine bedeutenden Übersetzungen orientalischer Literatur, darunter Teile des Korans. Populär waren die Bändchen "Die Weisheit des Brahmanen". Entgegen seiner Meinung war Rückert kein Coburger Ehrenbürger. Dazu ein Gedicht aus dem 4. Band der "Weisheit":
"Ich preise laut die Stadt, die nicht zwar mich geboren,
Und doch zum Bürger hat in Ehren mich erkoren,
Nicht weil ich irgend mich verdient gemacht um sie
Durch etwas anders als durch meine Poesie.
Durch meine Poesie war mirs zuvor gelungen,
Daß in derselben Stadt ich mir ein Weib errungen.
Die Himmelspoesie hat eine ird'sche Kraft,
Die zu Hauswirthschaft mir verhalf und Bürgerschaft"
Im Laufe der letzten 20 Lebensjahre verfasst er auf ca. 10 000 Gedichte und erweist sich als genauer Beobachter und Chronist seiner im Untergang begriffenen Epoche, die er mit zunehmendem Alter immer unnachsichtiger seziert. Themen sind: Alter, Krankheit, Familie, Haushalt, Garten, Sprachwissenschaft, Zeitungsmeldungen aller Art, Literatur, Wissenschaft, Religion, Politik etc. Das Fehlen eines Publikums ermöglichte eine unzensierte Niederschrift der Gedanken und entband den Autor von jeglichem Entgegenkommen in Bezug auf Thematik, Form und Zeitgeschmack, so dass die Gedichte in ihrer Gesamtheit zum einen von einer beeindruckenden Ursprünglichkeit geprägt sind, zum andern die gleichsam vorhandenen rückertschen Stereotypen um so deutlicher hervortreten. Er stellt 1851 fest:
"Diese Sprüche sind der Welt nicht not,
Doch sie sind mein täglich Brot;
Wäre nicht dem Tag sein Spruch gegeben,
Möcht' ich diesen Tag nicht leben."
Rückert starb am 31. Januar 1866, fast exakt 20 Jahre nach der Veröffentlichung seines letzten großen Werkes. Die Anteilnahme an seinem Dahinscheiden war zwar deutschlandweit, doch erweisen sich die Nachrufe als die auf einen "Gewesenen", ja fast Vergessenen. Die Orientalisten erinnerten sich auch später noch an den bedeutenden Kollegen. Sein übriges dichterisches Werk blieb hingegen fast völlig unbeachtet, bis anlässlich seines 200. Geburtstages auch dieser Teil seines Lebenswerkes wieder Beachtung fand.
Die Landesbibliothek zeigte vom 1. Mai bis 30. Juni 2010 im Vorsaal eine Ausstellung (mit Begleitheft) zum Thema "Friedrich Rückert - Übersetzer persischer Poesie und des Korans".
Rudolf Kreutner/ Bearbeiter: Edmund Frey