Article

Restitution größeren Umfangs von NS-Raubgut. Die Teilbibliothek Dr. Moritz Cramer an der Landesbibliothek Coburg

Die Landesbibliothek Coburg hat eine Restitution größeren Umfangs von NS-Raubgut durchgeführt, das im letzten Jahr aufgrund eines externen Hinweises in den eigenen Sammlungen entdeckt worden ist. Es handelt sich um die Teilbibliothek des jüdischen Bürgers Dr. Moritz Cramer (1877 – 1942) mit 89 Titeln in 108 Bänden, darunter zahlreiche seltene frühneuzeitliche Drucke.

 

Restitution der Teilbibliothek von Dr. Moritz Cramer an der Landesbibliothek Coburg | © Landesbibliothek Coburg

Restitution der Teilbibliothek von Dr. Moritz Cramer an der Landesbibliothek Coburg | © Landesbibliothek Coburg

Restitution der Teilbibliothek von Dr. Moritz Cramer an der Landesbibliothek Coburg | © Landesbibliothek Coburg

Restitution der Teilbibliothek von Dr. Moritz Cramer an der Landesbibliothek Coburg | © Landesbibliothek Coburg

Restitution der Teilbibliothek von Dr. Moritz Cramer an der Landesbibliothek Coburg | © Landesbibliothek Coburg

Die Restitution erfolgte nach Klärung der Rechtsverhältnisse an Melanie Gelber, geb. Cramer, Großnichte von Dr. Cramer. Melanie Gelber bot zugleich die Sammlung der Landesbibliothek Coburg zum Kauf an, damit diese am ursprünglichen Entstehungsort verbleiben und einer weiteren Erforschung zur Verfügung stehen kann. Die Teilbibliothek von Dr. Cramer bildet nunmehr einen rechtmäßigen Bestand in den umfangreichen Sammlungen der Landesbibliothek Coburg.

Die Landesbibliothek Coburg bedankt sich sehr herzlich bei Gaby Schuller aus Coburg für ihren Hinweis und die Aufarbeitung der familiären Zusammenhänge, die den zügigen Abschluss des Restitutionsverfahrens ermöglicht haben. Sie bedankt sich ferner bei der Generaldirektion der Bayerischen Staatsbibliothek München für die umfangreiche Unterstützung bei der Restitution.

Zur Biographie von Dr. Moritz Cramer

Moses (gen. Moritz) Cramer wurde am 24. April 1877 in Gleicherwiesen (bei Römhild) im damaligen Herzogtum Sachsen-Meiningen geboren. Er war der älteste von drei Söhnen der Eltern Jacob Israel Cramer (1849 – 1919) und Lina Cramer, geb. Lebermuth (1853 – 1934). Moritz Cramer besuchte in Gleichweisen zunächst die Volksschule, ehe er 1891 auf das Königliche Gymnasium in Fulda und wiederum ein Jahr später auf in Gymnasium Georgianum in Hildburghausen wechselte. Hier erwarb er umfangreiche humanistische Sprach- und Literaturkenntnisse. Im März 1897 bestand er die schriftliche Abgangsprüfung und das mündliche Examen. Seinem Wunsch entsprechend studierte er anschließend Medizin in München. 1901 bestand er das medizinische Staatsexamen, 1902 veröffentlichte er seine fachspezifische Dissertation. Wohl seit 1905 wirkte Dr. Cramer in Coburg über viele Jahre als HNO- und später als Nervenarzt. 1910 heiratete er in Frankfurt am Main Emma Nußbaum gemäß der jüdischen Zeremonie. Allerdings wurde die Ehe bereits nach einem Jahr wieder aufgelöst. Dr. Cramer blieb kinderlos. Er war kulturinteressiert und übereignete der Stadt Coburg immer wieder Kunstobjekte.
Mit dem Beginn des NS-Terrors in Coburg seit den frühen 1930er Jahren änderten sich für ihn Leben und Beruf grundlegend. Bereits 1933 folgten Boykottaufrufe gegen seine Praxis. Dr. Cramer verließ die Stadt jedoch nicht. Am 27. November 1941 wurde er schließlich zusammen mit weiteren Coburger Juden im ersten „Todeszug” nach Riga „evakuiert”, wo er höchstwahrscheinlich wenige Tage später ermordet wurde. Sein Tod wurde am 24. September 1948 durch das Standesamt I in Berlin amtlich auf den 27. Februar 1942 festgelegt. Vor seinem Abtransport wurden alle seine Vermögenswerte (Möbel, Kunstwerke und Bibliothek) konfisziert.

Zur Bibliothek von Dr. Moritz Cramer

Die große Bibliothek von Dr. Moritz Cramer im Umfang von ca. 1 200 Bänden wurde bei der Beschlagnahmung zerschlagen. Sie wurde teilweise vernichtet, teilweise zum Verkauf gestellt. Nur ein geringer Teil gelangte in die damalige Coburger Landesbücherei und wurde dort in den bestehenden Bestand eingearbeitet. Dieser Teil konnte nun dank einer in Jad Vashem aufgefundenen Liste der Coburger Landesstiftung, zu der die Bücherei damals gehörte, aus dem Jahr 1944 unzweifelhaft identifiziert werden. Dafür stehen auch zahlreiche Provenienzmerkmale in den Büchern wie Widmungen, Namensstempel und -kürzel sowie handschriftliche Einträge.

Die Teilbibliothek der Landesbibliothek Coburg enthält nicht nur Bestände aus Dr. Cramers Arbeitsbibliothek als praktizierender Arzt, sondern auch Teile seiner Sammlung an historischen, teils sehr seltenen Drucken vom 16. bis ins 19. Jahrhundert. Das älteste Buch wurde 1556 gedruckt, das jüngste 1938. Auffällig ist die thematische Vielfalt, die neben den größeren Beständen zu Medizin und Psychologie sowie Religion und Theologie auch Schriften zur Philologie, Literatur und Philosophie umfasst. Nicht minder beeindruckend ist die Vielfalt der vorhandenen Sprachen. Es gibt Bücher in deutscher, lateinischer, französischer, hebräischer, englischer und sogar in gälischer Sprache. Dr. Cramer scheint ein großes Interesse an theologischen Werken und vor allem an Bibelausgaben gehabt zu haben. So liegt eine Bibel-Ausgabe von 1807 in gälischer Sprache vor, ferner eine vierbändige Bibel-Konkordanz des italienischen Minoritenmönchs Mario di Calasio (1550 – 1620) in hebräischer Sprache aus den Jahren von 1747 bis 1749. Daneben finden sich Schriften von so bekannten Autoren wie dem holländischen Rechtsgelehrten und Theologen Hugo Grotius (1583 – 1645), dem englischen Theologen John Spencer (1630 – 1693) und dem französischen Jesuiten Isaac-Joseph Berruyer (1681 – 1758). Diese Sammlung verweist auf einen beindruckenden Bildungshintergrund von Cramer, der noch weiter aufzuarbeiten ist.

Opferbibliothek neben Täterbibliothek

Die Teilbibliothek von Dr. Moritz Cramer ergänzt die bestehenden Sammlungen zur NS-Zeit der Landesbibliothek Coburg um eine ganz bedeutende Facette. Neben dem großen Bestand zum NS, der die Rolle Coburgs als der „ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands” deutlich macht, gibt es nun eine „Opferbibliothek”, die den Terror des NS-Staates im Bestand direkt widerspiegelt. Sie bildet gleichsam ein Gegenstück z. B. zu der Privatbibliothek des ehemaligen Herzogs Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha, die reich mit Literatur zu beiden Weltkriegen, zum italienischen Faschismus und zum deutschen Nationalsozialismus angefüllt ist. All diese Bestände wird die Landesbibliothek Coburg zukünftig stärker in die nationalen und internationalen Forschungen zum NS einzubetten und an die interessierte Öffentlichkeit zu vermitteln versuchen.

Die Landesbibliothek Coburg

Die Landesbibliothek Coburg ist eine der großen historischen Bibliotheken in Franken. Sie ist aus den vielfältigen Büchersammlungen des Herzogtums Sachsen-Coburg hervorgegangen, die seit den 1540er Jahren auf Schloss Ehrenburg entstanden sind. Heute bewahrt sie bedeutende, teils hochkarätige historische Bestände vom Mittelalter bis in die Moderne, mit einem Schwerpunkt im 18. und 19. Jahrhundert. Sie gehört zu den zehn regionalen Staatlichen Bibliotheken in Bayern und ist der Bayerischen Staatsbibliothek München als zuständiger Mittelbehörde nachgeordnet. Als eine geistes- und kulturwissenschaftlich ausgerichtete öffentliche Einrichtung des Freistaats Bayern dient sie der Literaturversorgung der Stadt Coburg und der näheren Umgebung. Sie sammelt, erschließt und erforscht ihre Bestände, stellt diese im Original und in digitaler Form bereit und vermittelt sie in Wissenschaft, Schule und Gesellschaft.

 

Pressemitteilung der Landesbibliothek Coburg vom 10. Januar 2025 zum Download  (PDF, 165 KB)

Ihr Kontakt

Dr. Sascha Salatowsky

Landesbibliothek Coburg
Schloss Ehrenburg, Schlossplatz 1, 96450 Coburg
Telefon +49 9561 8538-200
sascha.salatowsky@landesbibliothek-coburg.de
www.landesbibliothek-coburg.de

Top