Die Werke zum Thema „Sinne“ beschreiben diese nicht, sondern wirken direkt auf sie ein – allerdings lässt sich das hinter dem Vitrinenglas nur ahnen. So bleibt es der Vorstellungskraft überlassen, wie wohl das „Paper Passion Perfume“ von Geza Schön duften mag. Noch etwas abstrakter sind die Kochbücher, die selbst dann, wenn man sie in die Hand nehmen und aufschlagen kann, den Geschmack der Speisen nicht sinnlich erfahren lassen. Anders die Braille’sche Punktschrift, deren tastbares Muster Blinden und Sehbehinderten ganz direkt ihre Botschaft vermittelt, während es für alle anderen unlesbar bleibt. Das „Sprechende Bilderbuch“, hier in einer englischen Ausgabe („The Speaking Picture Book“) wirkt dadurch, dass der Kasten des Mechanismus nicht mehr original mit dem Buch verbunden ist, außer auf den Hörsinn auch auf das Auge ein, das versucht, die Funktion des offengelegten Mechanismus zu erfassen.
Sinnliches Schreiben wird durch die Jahrhunderte sehr unterschiedlich bewertet. Nachdem die Antike ein unkompliziertes, offenes Verhältnis zum Körper pflegte, hier in der Ausstellung durch „Ovids Liebeskunst“ vertreten, kam eine ähnlich sinnenfreudige Einstellung erst wieder in der Renaissance auf. Das bekannteste Werk aus dieser Zeit ist sicherlich Boccaccios „Decamerone“, das in der Ausstellung in einer italienischen Ausgabe von 1915 mit exquisitem Buchschmuck vertreten ist. Nach seinem Vorbild verfasste Margarete von Navarra, die Schwester des französischen Königs Franz I., das „Heptameron“, das mit ähnlicher Rahmenhandlung statt zehn nur sieben Tage umfasst.
Eine unbekannte Facette des Dichterfürsten zeigen schließlich Goethes „Erotische Epigramme“, die im „Musen-Almanach für das Jahr 1796“ nicht erscheinen konnten und erst an eher versteckter Stelle 1914 (in einem Nachtragsband der Weimarer Goethe-Ausgabe) veröffentlicht wurden. Kombiniert sind sie im Ausstellungsobjekt mit Radierungen von Goethes Sammlung erotischer Gemmen.
Übersinnliches erscheint in der Ausstellung einmal als Nachdruck von älterer, ebenfalls in der Landesbibliothek vorhandener Literatur (Geissmar-Brandi, Christoph: „Das Auge Gottes“, Bilder zu Jakob Böhme; „Doktor Johannes Fausts Magia naturalis et innaturalis“, ein Abdruck der Coburger Handschrift Ms 75 aus dem 18. Jahrhundert), andererseits als Schriften der Jahrhundertwende. Neben Bänden, die aus Privatbesitz der Herzogsfamilie stammen (Signaturengruppen HP und CEB), wird hier die Ausstellung hauptsächlich aus dem Bestand „Theos“ gespeist. Dabei handelt es sich um den Buchbesitz der 1977 aufgelösten Internationalen Theosophischen Verbrüderung. Der letzte Vorsitzende Dr. Rudolph Fischer überließ die Sammlung der Landesbibliothek Coburg, da die langjährigen Vorsitzenden der ITV Hermann Rudolph und Hermann Fischer beide ihre letzte Ruhestätte in Coburg gefunden haben. Die nur 240 Titel dieser Sammlung bilden in ihrer Gesamtheit einen ausgesprochen seltenen Bestand, da solche Literatur üblicherweise nicht in wissenschaftlichen Bibliotheken gesammelt wurde. Ein Schwerpunkt der Sammlung liegt bei Helena P. Blavatsky, während Rudolf Steiner, der Vorsitzende der konkurrierenden „Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft“, kaum berücksichtigt wird bzw. als Feindbild Erwähnung findet.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 18. November 2023. Sie kann während der üblichen Öffnungszeiten der Bibliothek kostenlos besucht werden.
Sonderführungen sind auf Anfrage möglich.