4. Dezember

Zu sagen, er wäre nicht erschrocken, oder sein Blut hätte nicht ein grausendes Gefühl empfunden, das ihm seit seiner Kindheit unbekannt geblieben war, wäre eine Unwahrheit. Aber er faßte sich gewaltsam, legte die Hand wieder auf den Schlüssel, drehte ihn um, trat in das Haus, und zündete sein Licht an.

Aber doch zögerte er einen Augenblick, ehe er die Thür schloß, und er gukte erst vorsichtig dahinter, als fürchte er wirklich, mit dem Anblick von Marley’s Zopf erschreckt zu werden. Aber hinter der Thür war nichts, als die Schrauben, welche den Klopfer fest hielten; und so sagte er: „Bah, bah,“ und warf sie zu.

Der Schall klang durch das Haus wie

ein Donner. Jedes Zimmer oben, und jedes Faß in des Weinhändlers Keller unten schien mit seinem besondern Echo zu antworten. Scrooge war nicht der Mann, der sich durch Echos erschrecken ließ. Er schloß die Thür zu, ging über die Hausflur und die Treppe hinauf, und zwar langsam, und das Licht heller machend, während er hinaufging.

Die Treppe war breit genug, um eine Bahre der Quere hinaufzubringen, und das ist vielleicht die Ursache, warum Scrooge glaubte, er sähe vor sich eine Bahre sich hinaufbewegen. Ein halbes Dutzend Gaslampen von der Straße aus würden den Eingang nicht zu hell gemacht haben, und so kann man sich denken, daß es bei Scrooge’s kleinem Lichte ziemlich dunkel blieb.

Scrooge aber ging hinauf und kümmerte sich keinen Pfifferling darum. Dunkelheit ist billig, und das hatte Scrooge gern. Aber ehe er seine schwere Thür zumachte, ging er durch die Zimmer, um zu sehen, ob Alles in Ordnung sei. Er erinnerte sich des Gesichtes noch gerade genug, um das zu wünschen.

Wohnzimmer, Schlafzimmer, Geräthkammer, Alles war, wie es sein sollte. Niemand unter dem Tische, Niemand unter dem Sopha; ein kleines Feuer auf dem Rost, Löffel und Teller bereit und das kleine Töpfchen Suppe (Scrooge hatte den Schnupfen) an dem Feuer. Niemand unter dem Bett, Niemand in dem Alkofen, Niemand in seinem Schlafrock, der auf eine ganz verdächtige Weise an der Wand hing. Die Geräthkammer wie gewöhnlich. Ein alter Kamin-

schirm, alte Schuhe, zwei Fischkörbe, ein dreibeiniger Waschtisch und ein Schüreisen.

Vollkommen zufriedengestellt machte er die Thür zu und schloß sich ein und riegelte noch zu, was sonst seine Gewohnheit nicht war. So gegen Ueberraschung sichergestellt, legte er seine Halsbinde ab, zog seinen Schlafrock und die Pantoffeln an und setzte die Nachtmütze auf und setzte sich so vor das Feuer, um seine Suppe zu essen.

Es war wirklich ein sehr kleines Feuer, so gut wie gar keins in einer so kalten Nacht. Er mußte sich dicht daran setzen und sich darüber hinbeugen, um das geringste Wärmegefühl von einer solchen Handvoll Kohlen zu genießen. Das Kamin war vor langen Jahren von einem holländischen Kaufmann gebaut worden und rings um mit seltsamen holländischen Fließen mit biblischen Bildern belegt. Da sah man Cain und Abel, Pharao’s Töchter, Königinnen von Saba, Engel durch die Luft auf Wolken gleich Federbetten herabschwebend, Abraham, Belsazar, Apostel in See gehend auf Butterschiffen, Hunderte von Figuren, seine Gedanken zu beschäftigen; und doch kam das Gesicht Marley’s wie der Stab des alten Propheten, und verschlang alles Andere. Wenn jedes glänzende Fließ weiß gewesen wäre und die Macht gehabt hätte, aus den vereinzelten Fragmenten seiner Gedanken ein Bild auf seine Fläche zu zaubern, auf jedem wäre ein Abbild von des alten Marley’s Gesicht erschienen.

„Dummes Zeug!“ sagte Scrooge und schritt durch das Zimmer.

Nachdem er einige Male auf und ab gegangen war, setzte er sich wieder nieder. Wie er den Kopf in den Stuhl zurücklegte, fiel sein Auge wie von ungefähr auf eine Klingel, eine alte, nicht mehr gebrauchte Klingel, welche zu einem jetzt vergessenen Zweck mit einem Zimmer in dem obersten Stockwerk des

Hauses in Verbindung stand. Zu seinem großen Erstaunen und mit einem seltsamen unerklärlichen Schauer sah er, wie die Klingel anfing sich zu bewegen; erst bewegte sie sich so wenig, daß sie kaum einen Ton von sich gab; aber bald schellte sie laut und mit ihr jede Klingel des Hauses.

Das mochte eine halbe Minute oder eine Minute gedauert haben, aber es schien eine Stunde zu sein. Die Klingeln hörten gleichzeitig auf, wie sie gleichzeitig angefangen hatten. Dann vernahm man ein Klirren, tief unten, als ob Jemand eine schwere Kette über die Fässer in des Weinhändlers Keller schleppe. Jetzt erinnerte sich Scrooge gehört zu haben, daß Gespenster Ketten schleppen sollten.

Die Kellerthür flog mit einem dumpfdröhnenden Schall auf und dann hörte er das Klirren viel lauter auf der Hausflur unten; dann wie es die Treppe herauf kam; und dann wie es gerade auf seine Thür zukam.

„’s ist dummes Zeug,“ sagte Scrooge. „Ich glaube nicht dran.“

Aber doch veränderte er die Farbe, als es, ohne zu verweilen, durch die schwere Thür und in das Zimmer kam. Als es herein trat, flammte das sterbende Feuer auf, als ob es riefe, ich kenne ihn, Marley’s Geist! und sank wieder zusammen.

Dasselbe Gesicht, ganz dasselbe. Marley mit seinem Zopf, seiner gewöhnlichen Weste, den engen Hosen und hohen Stiefeln; die Quasten der letztern standen in die Höhe, wie sein Zopf und seine Rockschöße und das Haar auf seinem Kopfe. Die Kette, welche er hinter sich her schleppte, war um seinen Leib geschlungen. Sie war lang und ringelte sich wie ein Schwanz; und war, denn Scrooge betrachtete sie sehr genau, aus Geldcassen, Schlüsseln, Schlössern, Hauptbüchern, Contracten und schweren Börsen aus Stahl zusammengesetzt. Sein Leib war durchsichtig, so daß Scrooge

durch die Weste hindurch die zwei Knöpfe hinten auf seinem Rock sehen konnte.

Scrooge hatte oft sagen gehört, Marley habe kein Herz, aber er glaubte es erst jetzt.

Nein, er glaubte es selbst jetzt noch nicht. Obgleich er das Gespenst durch und durch und vor sich stehen sah; obgleich er den kältenden Schauer seiner todtenstarren Augen fühlte und selbst den Stoff des Tuches erkannte, welches um seinen Kopf und sein Kinn gebunden war und das er früher nicht bemerkt hatte, war er doch noch ungläubig und sträubte sich gegen das Zeugniß seiner Sinne.

„Nun,“ sagte Scrooge, kaustisch und kalt wie gewöhnlich, „was wollt ihr?“

„Viel!“ Das war Marley’s Stimme.

„Wer seid Ihr?“

„Fragt mich, wer ich war.“

„Nun, wer wart Ihr?“ sagte Scrooge lauter.

„Als ich lebte, war ich Euer Compagnon, Jacob Marley.“

„Könnt Ihr Euch setzen?“ fragte Scrooge, ihn zweifelnd ansehend.

„Ich kann es.“

„So thut’s.“

Scrooge that die Fragen, weil er nicht wußte, ob ein so durchsichtiger Geist sich werde setzen können, und fühlte die Nothwendigkeit einer unangenehmen Erklärung, wenn es ihm nicht möglich wäre. Aber der Geist setzte sich auf der andern Seite des Kamins nieder, als wenn er es gewohnt wäre.

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