19. Dezember

Viertes Kapitel.

Der Letzte der drei Geister.

 

Die Erscheinung kam langsam, feierlich und schweigend auf ihn zu. Als sie näher gekommen war, fiel Scrooge auf die Knie nieder, denn selbst die Luft, durch die sich der Geist bewegte, schien geheimnißvolles Grauen zu verbreiten.

Die Erscheinung war in einen schwarzen, weiten Mantel verhüllt, der nichts von ihr sichtbar ließ, als eine ausgestreckte Hand. Wenn diese nicht gewesen wäre, würde es schwer gewesen sein,

die Gestalt von der Nacht zu trennen, welche sie umgab.

Als sie neben ihm stand, fühlte er, daß sie groß und stattlich war und daß ihre geheimnißvolle Gegenwart ihn mit einem feierlichen Grauen erfüllte. Er wußte weiter nichts, denn der Geist sprach und bewegte sich nicht.

„Ich stehe vor dem Geist der zukünftigen Weihnachten?“ fragte Scrooge.

Der Geist antwortete nicht, sondern wies mit der Hand auf die Erde.

„Du willst mir die Schatten der Dinge zeigen, welche nicht geschehen sind, aber geschehen werden,“ fuhr Scrooge fort. „Willst Du das, Geist?“

Der obere Theil der Verhüllung legte sich auf einen Augenblick in Falten, als ob der Geist sein Haupt neige; dies war die einzige Antwort, welche Scrooge erhielt.

Obgleich so ziemlich an gespenstige Gesellschaft gewöhnt, fürchtete sich Scrooge vor der stummen Erscheinung doch so sehr, daß seine Kniee wankten und er kaum noch stehen konnte, als er sich bereit machte ihr zu folgen. Der Geist stand für einen Augenblick still, als bemerkte er seine Furcht und wolle ihm Zeit geben, sich zu erholen.

Aber Scrooge befand sich dadurch noch schlechter. Ein vages, unbestimmtes Grausen durchbebte ihn bei dem Gedanken, hinter diesem schwarzen Schleier hefteten sich gespenstige Augen fest auf ihn, während er, obgleich er seine Augen aufs Aeußerste anstrengte, doch nichts sehen konnte, als eine gespenstige Hand und eine große, schwarze Faltenmasse.

„Geist der Zukunft,“ rief er, „ich fürchte Dich mehr als die Geister, die ich schon gesehen habe. Aber da ich weiß, daß es Dein Zweck ist, mir Gutes zu thun, und da ich hoffe zu leben, um ein anderer Mensch zu werden, als ich früher war, bin ich bereit,

Dich zu begleiten und thue es mit einem dankerfüllten Herzen. Willst Du nicht zu mir sprechen?“

Die Gestalt gab ihm keine Antwort. Die Hand wies gerade in die Ferne vor ihn.

„Führe mich,“ sagte Scrooge. „Führe mich, die Nacht schwindet schnell und die Zeit ist kostbar für mich. Führe mich, Geist.“

Die Erscheinung bewegte sich von ihm weg, wie sie auf ihn zugekommen war. Scrooge folgte dem Schatten ihres Gewandes, welcher ihn erhob und von dannen trug.

Kaum war es, als ob sie in die City träten; denn die City schien mehr rings um sie in die Höhe zu wachsen und sie zu umstellen. Aber sie waren doch im Herzen derselben, auf der Börse unter den Kaufleuten, welche hin und her eilten, mit dem Gelde in ihren Taschen klimperten, in Gruppen mit einander sprachen, nach der Uhr blickten und gedankenvoll mit den großen, goldenen Siegeln daran spielten, wie Scrooge es oft gesehen hatte.

Der Geist blieb bei einer Gruppe Kaufleute stehen. Scrooge sah, daß die Hand der Erscheinung darauf hinwies, und so näherte er sich ihnen, um ihr Gespräch zu belauschen.

„Nein,“ sagte ein großer, dicker Mann mit einem ungeheuern Unterkinn, „ich weiß nicht viel davon zu sagen. Ich weiß nur, daß er todt ist.“

„Wann starb er?“ frug ein Anderer.

„Vorige Nacht, glaub’ ich.“

„Nun, wie geht das zu?“ fragte ein Dritter, eine große Prise aus einer sehr großen Dose nehmend. „Ich glaubte, er würde nie sterben.“

„Weiß Gott, wie es zugeht,“ sagte der Erste gähnend.

„Was hat er mit seinem Gelde angefangen?“ fragte ein Herr mit einem rothen

Gesicht und einem Auswuchs an der Nasenspitze, welcher wackelte, wie der Lappen eines Truthahns.

„Ich habe nichts davon gehört,“ sagte der Mann mit dem großen Unterkinn, abermals gähnend. „Hat es wahrscheinlich seiner Gilde hinterlassen. Mir hat er’s nicht vermacht. Das weiß ich.“

 

Dieser anmuthige Scherz wurde mit einem allgemeinen Gelächter empfangen.

„Es wird wohl ein sehr billiges Begräbniß werden,“ fuhr derselbe Sprecher fort; „denn so wahr ich lebe, ich kenne Niemanden, der mitgehen sollte. Wenn wir nun zusammenträten und freiwillig mitgingen?“

„Ich thue mit, wenn für ein Lunch gesorgt wird,“ bemerkte der Herr mit dem Auswuchse an der Nasenspitze. „Aber ich muß tractirt werden, wenn ich dabei sein soll.“

Ein neues Gelächter.

„Nun, da bin ich doch wohl der Uneigennützigste von Euch,“ sagte der erste Sprecher, „denn ich trage nie schwarze Handschuh und esse nie Lunch. Aber ich gehe mit, wenn sich noch Andere finden. Wenn ich mir’s recht überlege, war ich am Ende sein vertrautester Freund; denn wir blieben stehen und sprachen miteinander, wenn wir uns auf der Straße trafen. Guten Morgen, guten Morgen!“

Sprecher und Zuhörer gingen fort und mischten sich unter andere Gruppen. Scrooge kannte die Leute und sah den Geist mit einem fragenden Blicke an.

Die Erscheinung schwebte weiter auf die Straße.

Ihre Hand wies auf zwei sich begegnende Personen. Scrooge hörte wieder zu, in der Hoffnung, hier die Erklärung zu finden.

Auch diese Leute kannte er recht gut. Es waren Kaufleute, sehr reich und von großem Ansehen. Er hatte sich immer bestrebt, sich in ihrer Achtung zu erhalten, das heißt in Geschäftssachen, blos in Geschäftssachen.

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