15. Dezember

Tiny Tim trank sie zuletzt, aber er gab keinen Pfifferling darum. Scrooge war der Popanz der Familie. Die Erwähnung seines Namens warf über Alle einen düstern Schatten, der volle fünf Minuten zum Verschwinden brauchte.

Als er weg war, waren sie zehnmal lustiger, als vorher, schon weil sie Scrooge, den Schrecklichen, los waren. Bob Cratchit erzählte, wie er eine Stelle für Mr. Peter in Aussicht habe, welche diesem ganzer fünf und einen halben Shilling wöchentlich einbringen werde. Die beiden kleinen Cratchit’s lachten fürchterlich bei dem Gedanken, Petern als Geschäftsmann zu sehen; und Peter selbst blickte gedankenvoll zwischen seinen Halskragen hervor in das Feuer, als denke er nach, in welchen Actien er wohl seine Ersparnisse anlegen würde, wenn er in Besitz dieser unglaublichen Summe käme. Martha, welche bei einer Putzmacherin Gehülfin war, erzählte ihnen, was für Arbeit sie jetzt mache und wie viel Stunden sie in der guten Zeit arbeiten müsse und wie sie morgen früh auszuschlafen gedenke; denn morgen war für sie ein Feiertag. Auch erzählte sie, wie sie vor einigen Tagen eine Gräfin und einen Lord gesehen und daß der Lord fast so groß wie Peter gewesen sei, bei welchen Worten Peter seinen Hemdkragen so hoch in die Höhe zupfte, daß sein Kopf dazwischen verschwand. Während dieser ganzen Zeit gingen die Kastanien und der Punsch ringsum und dazwischen sang Tiny Tim mit seiner klagenden Stimme ein Lied von einem Kind, was sich im Schnee verlaufen, und sang es recht hübsch.

In alle dem war nichts Besonderes. Es waren keine hübschen Gesichter in der Familie; sie waren nicht schön angezogen; ihre Schuhe waren nichts weniger als wasserdicht; ihre Kleider waren ärmlich; und Peter mochte wohl das

Innere eines Pfandleiherladens kennen. Aber sie waren glücklich, voller Dank für ihre bescheidenen Freuden, einig unter einander und zufrieden; und als ihre Gestalten verblichen und in dem scheidenden Lichte der Fackel des Geistes noch glücklicher aussahen, verweilte Scrooge’s Auge immer noch auf ihnen und vor Allem auf Tiny Tim.

Es war jetzt dunkel geworden und es fiel ein starker Schnee; und wie Scrooge und der Geist durch die Straßen gingen, war der Glanz der lodernden Feuer in Küchen, Putzstuben und aller Art Gemächern wundervoll über alle Maßen. Hier zeigte die flackernde Flamme die Vorbereitungen zu einem traulichen Mahl, die heißen Teller, wie sie sich vor dem Feuer durch und durch wärmten, und die dunkelrothen Gardinen, bereit, Kälte und Nacht auszuschließen. Dort liefen alle Kinder des Hauses hinaus auf die beschneite Straße, ihren verheiratheten Schwestern, Brüdern, Vettern, Basen, Onkeln und Tanten entgegen, um sie zuerst zu begrüßen. Hier zeigten sich an den Fenstern Schatten versammelter Gäste; und dort eine Gruppe hübscher Mädchen in Pelzkragen und Pelzstiefeln, Alle zugleich redend und mit leichten Schritten in eines Nachbars Haus eilend. Wehe dem Junggesellen, der sie dort eintreten sah!

Wenn man nach der Zahl der Leute hätte urtheilen wollen, die zu freundschaftlichen Besuchen eilten, hätte man glauben können, es sei Niemand da, sie zu bewillkommnen. Aber anstatt dessen erwartete jedes Haus Gäste und in jedem Kamine loderte die Flamme. Wie sich der Geist freute! wie er seine breite Brust entblößte und seine volle Hand aufthat und dahinschwebte, freigebig seine heitere und harmlose Lust über Alles in seinem Bereiche ausschüttend! Selbst der Laternenmann, welcher durch die dunklen Straßen rannte,

um ihre trüben Nebel mit Flecken Licht zu erhellen und der bereits angeputzt war, um den Abend irgendwo zuzubringen, lachte laut auf, wie der Geist vorüberschwebte.

Und jetzt, ohne daß der Geist vorher etwas gesagt hätte, standen sie auf einer kahlen, öden Haide, wo ungeheure Felsblöcke umhergestreut waren, als wäre hier eine Begräbnißstätte von Riesen; und Wasser breitete sich aus, wo es nur Lust hatte – oder würde es gethan haben, wenn es der Frost nicht gefangen hielt; und nichts wuchs dort, als Moos und Gestrüpp und hartes, spitziges Gras. Tief im Westen hatte die untergehende Sonne einen Streifen glühenden Rothes gelassen, der einen Augenblick auf die öde Steppe niederschaute, wie ein zürnendes Auge und immer tiefer und tiefer sank, bis er sich im Dunkel der tiefsten Nacht verlor.

„Was ist das für ein Ort?“ frug Scrooge.

„Ein Ort, wo Bergleute in den Tiefen der Erde arbeiten,“ antwortete der Geist. „Aber sie kennen mich. Sieh!“

Ein Licht glänzte aus dem Fenster einer Hütte und sie schwebten schnell darauf zu. Hier fanden sie eine fröhliche Gesellschaft um ein wärmendes Feuer sitzen. Ein alter, alter Mann und eine greise Frau mit ihren Kindern und Enkeln und Urenkeln, Alle in festlichen Kleidern. Der Alte sang mit einer Stimme, die nur selten das Heulen des Windes auf der Einöde übertönte, ein Weihnachtslied; es war schon ein sehr altes Lied gewesen, als er noch ein Knabe war; und von Zeit zu Zeit fielen sie Alle im Chore ein. Und stets wie ihre Stimmen ertönten,

wurde der Alte lebendig und laut; und immer, wie sie aufhörten, sank seine Kraft wieder. Der Geist verweilte hier nicht, sondern befahl Scrooge, sich an sein Gewand zu halten. Sie schwebten über die Oede, aber wohin? doch nicht auf’s Meer? Auf’s Meer! zu seinem Schrecken sah Scrooge hinter sich das Land verschwinden; und sein Ohr wurde betäubt von dem Donner der Wogen, wie sie unter den grausenden Höhlen, welche sie genagt hatten, heulten und brüllten und wütheten und mit wildem Grimm die Erde zu unterwühlen trachteten.

Auf einer einsamen, halb im Wasser versunkenen Klippe, wohl eine Meile vom Lande, stand ein einsamer Leuchtthurm. Das ganze öde Jahr hindurch schäumten und tosten um ihn die Wogen. Große Haufen von Seekraut umgaben seinen Fuß und Sturmvögel – geboren vom Winde, konnte man glauben, wie Seekraut von den Wellen – hoben sich und senkten sich um seine Spitze, wie die wogenden Wellen unten.

Aber selbst hier hatten die zwei Thurmwächter ein Feuer angezündet, welches durch das Guckloch in der dicken, steinernen Mauer einen hellglänzenden Streifen auf die nächtliche See hinauswarf. Die harten Hände sich über den Tisch hinreichend, an dem sie saßen, wünschten sie sich eine fröhliche Weihnachten und stießen mit den Groggläsern darauf an; und einer der Beiden, der Aeltere noch dazu, mit einem Gesicht von Sturm und Wetter gebräunt und gefurcht, wie das Gallion-Bild eines alten Schiffes, stimmte ein mächtiges Lied an, das wie ein Sturmwind schallte.

Wieder schwebte der Geist über die dunkelwogende See dahin, immer weiter und weiter, bis sie, fern von jeder Küste, wie der Geist zu Scrooge sagte, auf einem Schiffe niedersanken. Sie standen neben dem Steuermann an dem Rade, dem Ausrufer vorn, neben den Officieren, welche die Wache hatten. Wie dunkle, gespenstige Gestalten standen diese auf ihrem Posten, aber Jeder

von ihnen summte ein Weihnachtslied, oder hatte einen Weihnachtsgedanken, oder sprach leise zu seinen Kameraden von einem früheren Weihnachtsabend und heimathlichen Hoffnungen, die sich daran knüpften. Und jeder Einzelne an Bord, wachend oder schlafend, gut oder schlecht, hatte an diesem Tage ein herzlicheres Wort für seine Kameraden gehabt, als an jedem andern Tag des Jahres; und wenigstens einigermaßen ihn gefeiert; und hatte an Die gedacht, die sich jetzt seiner in der Ferne erinnerten und hatte gewußt, daß sie jetzt seiner freundlich gedächten.

Top